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Die Plastikausstellungen avantgardistischer Tendenz waren im Mai reichlicher denn je. Zwei Ausstellungen, die schon letztes Jahr mehr oder weniger absichtlich gleichzeitig stattfanden, nämlich die Ausstellung der « 15 Sculpteurs » in der Galerie Suzanne de Coninck und die Ausstellung bei Denise René « Sculptures abstraites 1956 », zeigten dieses Jahr noch deutlicher die Spaltung, die sich in der abstrakten Plastik vollzieht. Die geometrisch strenge Tendenz, die bei Denise René vorherrscht, scheint an Boden zu verlieren, während die romantische, heftige Tendenz bei Suzanne de Coninck immer mehr den Enthusiasmus der Jugend erweckt. Bei Denise René waren die charakteristischen Kräfte Schöffer, Gilioli, Bloc, Descombin, Jacobsen und Lardera vertreten, unter denen Arp als Lyriker herausfiel. Bei Suzanne de Coninck waren vor allem Szabo, Brown, Zwoboda, Dodeigne, Boisecq und der kubanische Bildhauer Cardenas bemerkenswert.

Bei Eduard Loeb war eine Ausstellung des Bildhauers Gilioli zu sehen, bei dem man immer wieder das empfundene Handwerk schätzt. Bei Lara Vincy wurden in einer Gruppenausstellung neue Arbeiten des griechischen Bildhauers Andreou gezeigt. Weitere Plastikausstellungen waren: Martha Pan in der Galerie Arnaud, Cardenas mit seinen Plastiken surrealistischer Tendenz in der Galerie « A l’Etoile scellée » und dann die sehr erfreuliche Ausstellung des Chinesen Hsiung-Ping Ming bei Iris Clert. Hsiung lernte man erstmals vor zwei Jahren im Salon de Mai mit seinen feindurchgefühlten Tierplastiken aus Metall kennen; er war vor etwa sieben Jahren als Philologie-student nach Paris gekommen, wo er die Kunstanfänglich als Amateur betrieb. – Von Calder waren in der Galerie Au Pont des Arts hauptsächlich Bilder und großformatige graphische Arbeiten zu sehen. In der Galerie de Warren waren Metallplastiken von Lardera zu sehen. Solche Metallplastiken, die wie die Mobiles von Calder auf einem leicht nachzubildenden Prinzip aufgebaut sind, werden wohl sehr schnell ihre Nachahmer in der modernen Dekorationskunst finden.

Bei Gelegenheit des Erscheinens des Buches von Michel Ragon « L’Aventure de l’Art abstrait » veranstaltete die Galerie Arnaud eine Gruppenausstellung, die durch Werke der verschiedenen von Ragon besonders erwähnte Künstler seine interessanten Darstellungen begleitet. – Der Maler Mathieu, der immer mehr als der Salvador Dali der abstrakten Kunst gelten will, bereitet einen snobistischen Publikum, das es nicht besser verdient, reklametüchtig organisierte Skandale. Seine Ausstellung in der Galerie Rive Droite ist an und für sich nicht uninteressant. Doch der ganze Dekor, die Krönung Mathieus auf dem Throne Karls des Großen am Vernissage-Abend, seine darauffolgenden Zirkusnummern im Theater Sarah Bernard, all dies sind Attraktionsstücke, die die Kunstpresse systematisch übergehen sollte; doch da die Tagespresse sie im Gegenteil groß herausstellt, möchten wir auf sie als auf ungesunde Auswüchse hinweisen.

Ähnlich wie die Bilder Mathieus entstehen die des Ungarn Simon Hantai. Seine in deliriumartigem Zustande gemalten Großbilder, welche die Ausstellungswände der geräumigen Galerie Kléber vollständig bedecken, zeugen von einer von künstlerischem Temperament durchdrungenen zwangshaften Anschauungswelt, in der weder Künstler noch Beschauer wohnlich daheim sein können. Doch scheint die moderne Kunst ja immer weniger dazu da zu sein, den Betrachter zu erfreuen, geschweige denn, ihn zu erheben. Simon Hantai wurde am 7. Dezember 1922 in Bia (Ungarn) geboren; seit 1949 arbeitet er in Paris, wo er anfänglich an der postsurrealistischen Bewegung teilnahm. – In der Galerie Stadler stellte die amerikanische Malerin Ruth Francken interessante neue Arbeiten aus. Ihre Bilder sind nicht nur ein farbig-formales Phänomen; die Malerin versucht, einem inneren Zustand die entsprechende äußere Form zu geben. – In der Librairie La Hune zeigte Zao-Wou-Ki neueste Arbeiten: Aquarelle, Keramiken und Lithographien. Die gegenständliche Bedeutung des Bildes fällt immer mehr weg, und bald wird man den Maler kaum mehr von einem europäischen Tachisten, der sehnsüchtig nach Osten blinzelt, unterscheiden können. – Alechinsky, aus Japan zurück, hat in Kontakt mit der dortigen kalligraphischen Malschule neue Impulse für seine Malerei gewonnen, die er in der Galerie du Dragon ausstellt. – Music in der Galerie de France hat wie Zao-Wou-Ki den regional erzählerischen Charakter seiner Bildgestaltung aufgegeben, doch spürt man in seinen neuen Bildern, die sich fast nicht mehr auf die Außenwelt beziehen, weiterhin ein feinfühliges lyrisches Talent am Werke.

Das Credo des sogenannten « peintre informel » wurde in einer Zeitungschronik von Alain Bosquet folgendermaßen definiert: « Je ne prépare pas mon tableau, je le peins en l’espace d’un éclair, je ne sais pas ce qu’il signifie, libre à vous de lui imposer une signification quelconque ; je m’en désintéresse complètement, mais en secret j’espère tout de même que vous lui trouverez une signification intuitive et sensorielle indiscutable ; j’aimerais même que la signification ne soit pas unique, mais qu’il y en ait une nouvelle chaque fois que vous regarderez ma toile » (Combat 28. 5. 1956). Diese moderne Bilddeutung bezog sich in dem Artikel von Bocquet im besonderen auf die Ausstellung von Mathieu. Sie kann aber auch auf die Malerei des Dichters Henri Michaud (Galerie René Drouin) sowie sehr allgemein auf die aktuelle Tendenz der modernen Malerei angewandt werden. Bei Michaud werden diese möglichen Deutungen insofern noch bereichert, als sie in Beziehung zu einem herausgeschleuderten Wort, einem dichterischen Motto gesetzt werden und damit zu surrealistischen Experimenten zurückführen.

Dubuffet (in der Galerie Rive Gauche) verfolgt sein eigenes Problem. Er scheint trotz den Monstruositäten, die er nach Ausweis seiner heutigen Ausstellung « Assemblages d’empreintes » weiterhin pflegt, nicht eigentlich dem Tagesgeschmack zu entsprechen. Hingegen nähert sich Bissière (in seiner Ausstellung bei Jeanne Bucher), der ja eigentlich von einer recht klassischen Bildauffassung herkommt, der kaum mehr komponierten Auflösung der Bildfläche in Flecken, wie sie bei der jüngsten Generation an der Tagesordnung ist. Istrati in der Galerie Carven kann hier als charakteristisches Beispiel angeführt werden. Zu erwähnen sind ferner noch die folgenden Ausstellungen: Man Ray, « Non-Abstractions », in der Galerie à l’Etoile scellée; Doucet in der Galerie Ariel; Borès bei Louis Carré; Bilder des naiven Malers Bauchant aus den Jahren 1923–41 bei Dina Vierny; neue Wandteppiche von Jean Lurçat in der Maison de la Pensée Française und in denselben Räumen kurz zuvor die Ausstellung von Rebeyrolle, einer der Hoffnungen des Neorealismus. Feinere Saiten der gegenständlichen Malerei klingen bei Philippe Bonnet. – Die neuen Bilder von Georges Braque in der Galerie Maeght, Zeichnungen und Plastiken von Henri Laurens in der Galerie des Cahiers d’Art, Bilder von Paul Klee aus Privatsammlungen in der Galeries Simone Heller, Hommage à Bonnard bei Bernheim Jeune; die « Relevés » von Touen-Houang und Werke von Tchang Ta-Ts’ein im Musée de l’Orangerie, und als Anhang hierzu « Primitifs Italiens dans les Musées de France » im Pavillon de Marsan; « Les Trésors d’Art Populaire dans les Pays de France » im Musée des Arts et Traditions Populaire ; das vielseitig diskutierte « Festival International d’Architecture et d’Art Monumental » im Grand Palais, der Salon des Artistes Décorateurs ebenfalls im Grand Palais und nicht ze vergessen der II. Salon de Mai – dies ist mit manchen Lücken der Querschnitt durch den kunstbewegten Maimonat. Erwähnen wir doch noch als Kuriosität den Empfang im Hotel Georges V, wo die zehn bedeutendsten französischen Plakatkünstler: J. Natan, J. Colin, P. Colin, J. Dubois, G. Gorget, E. Lancaster, H. Morvan, J. Picart-Le Doux, B. Villemot und R. Savignac vor den eingeladenen Vertretern von 73 Nationen ihre überraschenderweise recht unbedeutenden Plakate für Air France, « L’Invitation au Voyage », präsentierten.

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